Bildung Erwachsener

1. Einleitung

Joel D. 25 Jahre alt, kam als einjähriges Kind mit seinen Eltern aus Angola. Abbruch der Hauptschule in der 9. Klasse. Nach einigen orientierungslosen Jahren hat er sich entschieden zuerst den Hauptschul-abschluss und dann die Mittlere Reife nachzuholen, danach war er zwei Jahre als Rapper tätig. Nun möchte er das Abendgymnasium besuchen und anschließend studieren, mit dem Ziel Ton-Ingenieur zu werden. Sein Rap-Song „Letzte Chance“: „Eine letzte Chance, ich hoffe, dass ich sie endlich ernst nehme. Eine letzte Chance, die ich ergreife, weil ich nach all‘ meinen Dummheiten das Leben endlich begreife“.

Ayla C. eine türkische Frau, 30 Jahre alt, alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern besuchte aufgrund ihres Migranten- Hintergrundes und einer nichterkannten Legasthenie die Sonderschule und bleibt ohne Ausbildung. Ihr Wunsch ist ein Schulabschluss, der ihr den Zugang zu einer Berufsaus-bildung ermöglicht.

Robert B., 45 Jahre alt wurde aufgrund betrieblicher Umstrukturierungen entlassen. Veränderungen machen ihm Angst. Um berufliche Weiterbildung hat er sich deshalb nie gekümmert. Die Arbeits-losigkeit belastet ihn sehr. Wird er in seinem Alter noch eine Arbeit finden?

Als Krankenschwester in einer psychosomatischen Tagesklinik begegne ich immer wieder Patienten, die eine Diskontinuität in ihrer Bildungs- oder Erwerbsbiographie aufweisen. Schulabbrüche ohne Schulabschluss, Ausbildungsabbrüche oder auch Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit aufgrund von Arbeitslosigkeit und Krankheit, beeinflussen die berufliche, soziale und gesundheitliche Situation. Weiterbildung und Integration in den Arbeitsmarkt sind deshalb neben Psychotherapie zentrale Themen. Aufgrund dieser praktischen Erfahrung im Berufsalltag verfolge ich mit meinem Beitrag zum Thema Bildung zwei Ziele. Zum einen möchte ich aufzeigen, dass Bildung im Erwachsenenalter ein Lebenslanges Lernen ist, welches eine hohe Selbstlern-kompetenz erfordert. Zum anderen möchte ich mein Augenmerk auf die Personengruppen richten, die nicht gelernt haben selbständig weiter zu lernen. Damit kommt es unter Umständen nicht nur zu einer Benach-teiligung und Einschränkung in ihrer Weiterbildung und –entwicklung, sondern auch zu einer Benachteiligung in der ökonomischen und gesellschaftlichen Teilhabe.

1. Bildung ein Lebenslanger Lernprozess

Bildung im Erwachsenenalter zielt auf die Fortführung bzw. Ergänzung grundlegender Bildung und ist eng mit der Vorstellung des Lebenslangen Lernens verknüpft. Ein Lernen, das zum einen Bildungs-prozesse über alle Lebensphasen hinweg betont und zum anderen den Blick auf Lernprozesse außer-halb organisierter Bildungsmaßnahmen erweitert. Bereits in der Kindheit werden Lernmotivation und Lernfähigkeit geweckt und gefördert, sowie entscheidend wichtige Grundlagen für die Entwicklung zur eigenständigen Persönlichkeit festgelegt. Damit werden die Weichen für ein Lebenslanges Lernen gelegt. Das Lernen von Jugendlichen ist überwiegend durch schulisch strukturierte Lernprozesse, fremdorganisierte Lernangebote und die Pflicht zum Lernen geprägt. Die Lebensphase der jungen Erwachsenen beginnt mit dem Eintritt in die Arbeitswelt, einschließlich der ersten Berufsausbildung und bezeichnet die Lebensphase bis zur Aufnahme einer geregelten Berufstätigkeit. In diesem Lebens-abschnitt haben informelles Lernens, Selbststeuerung sowie die Entwicklung von sozialen, beruflichen, kulturellen und persönlichen Kompetenzen einen wichtigen Stellenwert. In Bezug auf das Lebenslange Lernen sind diese Erfahrungen weichenstellend und formen entscheidend das Verhältnis zum Lernen. Ein erfolgreicher Übergang im Sinne von Lebenslangem Lernen ist dann erreicht, wenn junge Erwachsene den Übergang ins Erwerbsleben nicht als Abschluss des Lernens, sondern als eine Zwischenstation begreifen (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung  2004, S.6-7)

2. Bildung im Erwachsenenalter erfordert eine hohe Selbstlernkompetenz

Gegenstand der Erwachsenenbildung ist eine Aktualisierung von Wissensbeständen und ein Ausgleich individueller Bildungsunterschiede. Damit wird Bildung im Erwachsenenalter von den Lernenden, sowohl als Prozess individueller Weiterentwicklung, als auch als Maßnahme zur Bearbeitung aktuell wahrgenommener Bildungs- und Wissensdefizite genutzt. Zur Weiterbildung gehören alle Aktivitäten, die der Vertiefung, Erweiterung oder Erneuerung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten von Menschen dienen, die eine erste Bildungsphase abgeschlossen haben (Ehrmann, C. 2001, S.94).  

Durch die intensive Einbindung in Beruf und Familie sind Erwachsene in einem hohem Maße zeitlich beansprucht. Daher hat in dieser Lebensphase das Lernen insbesondere im Arbeitsprozess eine besondere Bedeutung. Das Lernen wird durch Wissens-, Technologie- und Kompetenztransfer so gestaltet, dass Arbeitnehmer ihre Beschäftigungsfähigkeit auch durch informelles und nicht-formales Lernen verbessern können. Zudem führt auch informelles Lernen in Familie, Beruf und Freizeit zu persönlich und gesellschaftlich nützlichen und verwertbaren Qualifikationen. Untersuchungen zeigen, dass Schul- und Berufsbildung, Erwerbstätigkeit, berufliche Stellung, soziale Herkunft, Geschlecht, Alter und Nationalität Einfluss auf die Teilnahme an Weiterbildung haben. Je höher die Schulbildung ist, desto höher ist auch die Weiterbildungsbeteiligung. Erwerbstätigkeit verstärkt das Interesse an Weiterbildung, zudem steigt das Interesse mit zunehmender beruflicher Qualifikation. In der beruflichen Bildung beteiligen sich in der Regel mehr Männer als Frauen an Weiterbildungs-maßnahmen. Begründet ist dies in der Familienarbeit und Teilzeitbeschäftigung der Frauen. Jüngere nehmen häufiger an Weiterbildung teil als Ältere. Die Teilnahmequote der Nicht- Deutschen liegt erheblich unter der von Deutschen (Brünig,G. 2001,S.III 26) 

Bildung im Erwachsenenalter ist institutionell weniger geprägt als in den vorherigen Lebensphasen. Selbststrukturierbare Angebote wie z.B. Fernunterricht bzw. computergestützten Lernens ermöglichen durch ihre zeitliche Flexibilität den Erwerb von weiteren Kompetenzen. Der Umgang mit den elementaren Medien Computer und Internet wird zunehmend Voraussetzung für lebenslanges Lernen. Bildung im Erwachsenenalter muss deshalb weitgehend eigenverantwortlich innerhalb der jeweiligen Lebensumstände verwirklicht werden. Die Selbstlernkompetenz spielt in diesem Lebensabschnitt dabei eine bedeutsame Rolle und stellt eine wichtige Grundvoraussetzung für Weiterbildung dar. Der rasche Wandel in der Arbeits- und Lebenswelt macht lebenslanges Lernen für alle zu einer kontinuierlichen Notwendigkeit. Auch jenseits von Schule, Arbeit und organisierter Weiterbildung muss der Einzelne ständig an der Anpassung und Erweiterung seiner Qualifikationen arbeiten, um im beruflichen und sozialen Kontext „dabei“ zu bleiben. Insbesondere die Nutzung der Selbstlernpotenziale des Internets wird dabei immer mehr eine Rolle spielen. Personen, denen es nicht gelingt, ihre Qualifikationen auch jenseits der organisierten Bildung selbsttätig zu erhalten und zu aktualisieren, verlieren perspektivisch an ökonomischer sowie gesellschaftlicher Teilhabe.

4. Chancengerechte Zugang zu Lebenslangenem Lernen – Vermeidung von Benachteiligung

Geht man von der Annahme aus, dass Nicht – Teilnahme an Weiterbildung im Erwachsenenalter in einem Zusammenhang mit einer Bildungsbenachteiligung steht, aus der eine berufliche sowie auch eine soziale Benachteiligung entstehen kann, dann bedeutet dies, dass Benachteiligung durch Weiterbildung vermindert bzw. Weiterbildung präventiv gegen Benachteiligung wirksam eingesetzt werden kann. Daraus ergibt sich eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Notwendigkeit allen Bevölkerungsgruppen einen chancengerechten Zugang zu den Möglichkeiten Lebenslangem Lernen zu eröffnen. Dies gilt insbesondere für die Personen-gruppen, denen es nicht gelingt, sich selbständig auch jenseits der organisierten Bildung weiterzubilden. Zu den gefährdeten Zielgruppen gehören insbesondere junge Erwachsene die aufgrund von Lern-beeinträchtigungen oder Sozialisationsschwierigkeiten ohne abgeschlossen Schulabschluss die Schule verlassen und/ oder aufgrund von fehlendem Ausbildungs-platz oder abgebrochener Ausbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung bleiben. Auch Arbeitslose, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger gehören aufgrund von einer fehlender Berufsausbildung, nicht nachgefragter Qualifikationen, ihres Alters, gesundheitlicher Einschränkungen oder fehlender Infrastrukturen zu der benachteiligten Personengruppe. Migranten sind unter Umständen aufgrund ihres rechtlichen Status, ihrer Nationalität, geringen Sprachkenntnissen, der Nicht-Anerkennung von Schul-, Berufs- und Universitätsabschlüssen oder der Unübersichtlichkeit des Schul-, Ausbildungs- und Weiterbildungssystems benachteiligt. Zu Benachteiligungen kann es in Zukunft auch für diejenigen kommen, die sich Weiterbildung nicht leisten können, in aussterbenden Berufen tätig sind oder keinen Zugang zu neuen Medien haben.

„Der Zugang zu Lebenslangem Lernen ist eine entscheidende Voraussetzung für das Leben in einer auf demokratische Teilhabe ausgerichteten Gesellschaft, in der Persönlichkeitsentwicklung und Wissenserwerb sowie eine sozial verantwortliche Anwendung von Wissen und Kompetenzen immer größere Bedeutung erhalten. Zu keinem Zeitpunkt seiner Bildungsbiographie darf jemand aus dem Lern- und Bildungsprozess ausgeschlossen werden“(Koch, C.2005 , S.4)

5. Fazit

Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen, dass Bildung im Erwachsenenalter weitgehend eigenverantwortlich innerhalb der jeweiligen Lebensumstände verwirklicht werden muss. Die Selbstlernkompetenz spielt dabei in diesem Lebensabschnitt eine bedeutsame Rolle und stellt eine wichtige Grundvoraussetzung für Weiterbildung dar. Personengruppen, denen es nicht gelingt, sich selbständig auch jenseits der organisierten Bildung weiterzubilden benötigen einen chancengerechten Zugang zu den Möglichkeiten des Lebenslangem Lernen. Im Zentrum der Bildungsförderung sollte insbesondere die Entwicklung und Stärkung selbständiger Lernkompetenz stehen.

Die Soziale Arbeit steht an diesem Punkt vor einer großen Aufgabe und Herausforderung. Dabei wäre zu überlegen welche Möglichkeiten und Grenzen die Soziale Arbeit hat, Bildungsbenachteiligung entgegenzuwirken und erwachsenen Personen mit einer Diskontinuität in ihrer Bildungs- bzw. Berufsbiographie einen chancengerechten Zugang zu einem Lebenslernen Lernen zu ermöglichen.

Literaturverzeichnis:                                                                                                                       Ehrmann, C. (2001): Bildungsfinanzierung und soziale Gerechtigkeit. Bertelsmann Bielefeld 

Tippelt, R., Schmidt, B. ( 2009) : Handbuch Bildungsforschung, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Internetrecherche:

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung ( 2004): Strategie für Lebenslanges Lernen in der Bundesrepublik Deutschland Bonn http://www.bmbf.de/pub/strategie_lebenslanges_lernen_blk_heft115.pdf

Brünig,G.( 2001): Benachteiligte in der Weiterbildung, Projektabschlussbericht
http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2001/bruening01_01.pdf)

Koch, C.(2005), Lebenslanges Lernen mit Benachteiligten“ Zusammenfassung und Empfehlungen des BLK-Projektes LeiLa: „Passagen lebenslangen Lernens in beruflichen Qualifizierungsprozessen von bildungsbenachteiligten Zielgruppen“ Bremen

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Eine Antwort zu Bildung Erwachsener

  1. Angela Auer schreibt:

    Hallo,

    ich habe den Beitrag mit großem Interesse gelesen und habe an meine eigene Bildungs- bzw. Berufsbiographie gedacht. Meine Berufstätigkeit begann nach der Realschule erst einmal ohne Berufsausbildung und dauerte 9 Jahre. Die erste Berufsausbildung beendete ich im Alter mit 30 Jahren. Neben meiner eigenen Motivation und dem Wunsch noch eine Ausbildung zu beginnen, waren die Unterstützung durch mein soziales Netzwerk und eine gewisse finanzielle Absicherung sehr wichtige Voraussetzungen, um etwas Neues beginnen zu können.

    Aufgrund dieser Erfahrungen denke ich, dass die Soziale Arbeit einer sozialen Bildungsbenachteiligung im Erwachsenalter entgegen gewirken kann, indem neben individuellen Hilfsangeboten auch die Netzwerkarbeit ausgebaut und das ehrenamtliche Engagement fördert wird. Denn ich glaube, die betroffenen Menschen brauchen Vorbilder und Zuspruch, damit sie den Mut finden ihr Leben zu verändern.

    Beste Grüße
    A.A.

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